Das autonome Nervensystem (ANS) ist der Schlüssel zur Balance zwischen intensiver Anstrengung und Erholung bei Athleten. Es steuert lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag und Atmung und beeinflusst sowohl körperliche als auch mentale Prozesse. Ein flexibles ANS ermöglicht optimale sportliche Leistung und schnelle Regeneration. Langsame Atmung ist eine effektive Methode, das ANS zu beeinflussen. Es führt zu einem parasympathischen Gleichgewicht, erhöht die Vagusaktivität und optimiert physiologische Parameter wie Blutdruck und Herzrhythmus. Diese Atemtechnik verbessert zudem mentale Aspekte wie Stimmung, Resilienz und Fokus. Bereits wenige Minuten täglich können signifikante positive Effekte erzielen, weshalb Athleten diese Technik vor, während und nach dem Training integrieren sollten. Durch bewusste Atmung können Athleten ihre Leistungsfähigkeit steigern und ihre Erholung optimieren.

Das autonome Nervensystem

Als Athleten bewegen wir uns ständig zwischen Phasen intensiver Anstrengung, maximaler Leistungsfähigkeit, Begeisterung, Erregung und fokussierter Konzentration sowie Zeiten der Erholung, Entspannung und Regeneration. Diese Fähigkeit, körperliche und mentale Höchstleistungen zu erbringen, sich anschließend zu erholen und Trainingseffekte zu erzielen, wird durch unser autonomes Nervensystem (ANS) ermöglicht. Das ANS steuert lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel – alles entscheidende Elemente für sportliche Leistung. Aber auch gefühlsmäßige Aspekte wie Wohlbefinden, Ausgeglichenheit oder Stress haben dort ihren Ursprung. Es ist ein wichtiger Akteur und Vermittler im Zusammenspiel zwischen Körper und Geist, zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein.

Die „Autonomie“ dieses Systems bedeutet, dass es biologische Prozesse im Körper automatisch reguliert und anpasst, ohne dass wir sie bewusst steuern können. Wir können es allerdings – wie wir noch sehen werden – indirekt beeinflussen. Das ANS wird funktionell und anatomisch in zwei Hauptteile untergliedert: den Sympathikus und den Parasympathikus. Diese arbeiten hauptsächlich antagonistisch zusammen. Der Sympathikus sendet hauptsächlich leistungsfördernde Signale, während der Parasympathikus erholungsfördernde Signale über den Vagusnerv übermittelt.

Ein flexibles Nervensystem: Der Schlüssel zur Spitzenleistung

Für optimale sportliche Leistung benötigen wir ein starkes und flexibles Nervensystem. Dieses ermöglicht es uns, leistungsfähig und fokussiert zu bleiben sowie ausgeglichen zu regenerieren. Flexibilität bedeutet, dass sich das Nervensystem den aktuellen Anforderungen anpasst und anschließend erholt. Das betrifft auch wechselnde Anforderungen innerhalb einer Trainingseinheit oder eines Wettkampfs. Dauerhafte Höchstleistungen sind nicht möglich.

Sympathikus und Parasympathikus arbeiten nicht wie ein Ein/Aus-Schalter, sondern wie Schieberegler, die je nach Situation angepasst werden. Unter Ruhebedingungen ist die sympathische Aktivität bei gesunden Menschen minimal oder nicht vorhanden. In verschiedenen Krankheitszuständen und während körperlicher sowie mentaler Belastungen ist sie jedoch hoch. Nach dem Training ist eine schnelle Rückkehr zu höheren parasympathischen Aktivitätsniveaus wünschenswert, da dies mit Leistungsbereitschaft, höherem Trainingsstatus und besserer Selbstregulation verbunden ist. Besonders bei gut trainierten Sportlern erfolgt die Erholung des ANS schneller, unabhängig von der Trainingsintensität.

Um das Gleichgewicht zu finden, müssen wir nicht nur die sympathische Aktivität reduzieren, sondern gezielt den parasympathischen Teil reaktivieren und stärken. Die kardiale parasympathische Aktivität wird dabei als globaler Marker der Erholung von Sportlern vorgeschlagen und kann indirekt durch die Herzfrequenzvariabilität (HRV) gemessen werden.

Herzratenvariabilität als Schlüsselindikator

In den letzten Jahren hat sich die HRV als qualitativer Index des „sympathovagalen Gleichgewicht“ etabliert. Das HRV-Phänomen beschreibt die Schwankungen im Abstand zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen sowie Herzfrequenzen und bezeichnet die Fähigkeit unseres Herzens, auf unterschiedliche Anforderungen angemessen und flexibel reagieren zu können. Je variabler der Herzschlag, desto besser kann das Herz auf Herausforderungen reagieren und sich anschließend beruhigen. Dies ermöglicht Rückschlüsse auf die vagale Regulation zu ziehen.

Die Grundlage dafür liegt in der nervlichen Verflechtung unseres Herzens, da Herzfrequenz und -rhythmus weitgehend vom autonomen Nervensystem gesteuert werden. Der parasympathische Einfluss auf die Herzfrequenz wird durch die Freisetzung von Acetylcholin durch den Vagusnerv vermittelt. Der sympathische Einfluss auf die Herzfrequenz erfolgt durch die Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin. Vagalaktivität kann jedoch das Herz viel schneller beeinflussen als sympathische Aktivität, vermutlich aufgrund der schnelleren Signaltransduktion und Acetylcholin-Rezeptor-Kinetik, wodurch sie in der Lage ist, den unmittelbaren Herzschlag zu verzögern. Hochfrequente HRV-Schwankungen werden hauptsächlich parasympathisch vermittelt, während niedrig frequente HRV-Schwankungen sowohl sympathisch als auch parasympathisch vermittelt werden.

Verschiedene Studien der letzten Jahre zeigen die Relevanz der HRV als Marker, der positiv mit Gesundheit, Wohlbefinden, Selbstregulation und sportlicher Leistung korreliert. Kein Wunder, dass die HRV heutzutage standardmäßig in Tracking-Tools und Fitnessuhren implementiert wird.

Mittels Atmung kann man das ANS beeinflussen

Die positiven Auswirkungen des Atems auf physiologische und mentale Prozesse sind seit Jahrhunderten bekannt. Erst in den letzten Jahren haben wir jedoch ein besseres Verständnis der dahinterliegenden Mechanismen erlangt. Dies ermöglicht es uns, Atemtechniken strukturiert einzusetzen, um unsere Leistung, Regeneration und Wohlbefinden zu beeinflussen.

Der Hirnstamm und die Kerngebiete des Hypothalamus enthalten die Haupt-Regelkreise für alle Komponenten des sympathischen und parasympathischen Systems, dienen also als wesentliche Steuerungszentren für die Funktionen des vegetativen Nervensystems. Das bedeutet, dass beide Teile des autonomen Nervensystems unter der Kontrolle der zentralen Atemzentren stehen. Die Einatmung wird vom Sympathikus stimuliert, die Ausatmung vom Vagus. Dies spiegelt sich in der respiratorischen Sinusarrhythmie wider: Unser Herz schlägt etwas schneller bei der Einatmung und langsamer bei der Ausatmung.

Zwei wesentliche Argumente, die für die Atmung als Fokusobjekt sprechen, stützen sich auf den engen Zusammenhang zwischen Atmung, Bewusstsein und vegetativer Erregung:

  • Automatik und Kontrolle: Das Atmen erfolgt automatisch und bis zu einem gewissen Grad unbewusst. Bestimmte Parameter wie die schneller, langsamer, flacher oder tiefer können jedoch bewusst kontrolliert werden. Die Atmung liegt somit an der Schnittstelle zwischen unserem bewussten und unbewussten Verhalten. Insbesondere die Großhirnrinde beeinflusst die Atmung durch direkte neuronale Bahnen zum Hirnstamm, wo diese Signale mit autonomen Steuerungen des Hypothalamus integriert werden. Dies ermöglicht sowohl eine automatische Regulation der Atmung als auch eine bewusste Kontrolle durch höhere Gehirnfunktionen.
  • Rückkopplung: Das ANS bestimmt nicht nur die Vitalfunktion der Atmung, sondern die Atmung wirkt auch direkt auf das Nervensystem ein. Sie kann dieses sowohl aktivieren als auch beruhigen und steuert dabei wesentliche körperliche (z.B. Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck) und mentale Prozesse (z.B. Durchblutung des Gehirns, Sensitivität der Nerven, Ausschüttung von Neurotransmittern). Während der bewussten Einatmung wirken wir stärker auf den Sympathikus ein, während der bewussten Ausatmung stärker auf den Parasympathikus.

Um sich diesem Zusammenhang stärker bewusst zu machen, kann folgende Übung helfen: Lege während der Atmung die eine Hand auf die Brust, die andere auf den Bauch und atme ein paar Mal in die Brust, anschließend in den Bauch. Sicherlich wirst du feststellen, dass sich letztere Atmung entspannter und beruhigender anfühlt. Das liegt daran, dass die Nerven des Sympathikus im Brustbereich entspringen, die des Parasympathikus im unteren Bauchbereich. In stressigen Situationen (Sympathikus) atmen wir stärker durch die Brust, in entspannteren Momenten (Parasympathikus) automatisch durch den Bauch.

Physiologische Vorteile langsamen Atmens

Atemtechniken, insbesondere langsame Atmung (Slow-Paced Breathing, SPB), erfreuen sich bei Sportlern zunehmender Beliebtheit aufgrund ihres Potenzials, die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit zu verbessern. SPB bedeutet, das spontane Atmen, das im Ruhezustand etwa 12-20 Atemzüge pro Minute umfasst, zu verlangsamen. Es gibt eine starke wissenschaftliche Evidenz, dass SPB zu einem parasympathischen Gleichgewicht und einer Erhöhung der Vagusaktivität bei gesunden Menschen führt. Die Praxis der langsamen Atmung kann das optimale sympathovagale Gleichgewicht verbessern, wobei die ideale HRV typischerweise bei einer Atemfrequenz von etwa 6 Atemzügen pro Minute (0,1 Hz) beobachtet wird.

Das Atmen bei dieser sogenannten Resonanzfrequenz hat gezeigt, dass es die autonome Anpassungsfähigkeit und Resilienz gegenüber körperlichem und mentalem Stress erhöht und die Entspannung während und nach dem Training oder Wettkampf verbessert. Es ermöglicht die Optimierung physiologischer Parameter, die mit Gesundheit und sportlicher Leistung in Verbindung stehen, wie kardiovaskuläre Funktionen (z.B. Blutdruck), respiratorische Funktionen (z.B. pH-Optimierung) und kardiopulmonale Funktionen (z.B. Synchronisation von Blutfluss und Herzrhythmus).

Mentale Effekte langsamen Atmens

Der Atem ist unser stärkster Verbündeter im mentalen Training, wie schon der griechische Ursprung des Wortes „Geist“ (spirit), der „Atem“ bedeutet, zeigt. Atmung liegt an der Schnittstelle zwischen unserem bewussten und unbewussten Verhalten. Durch die Atmung steuert das Gehirn seine eigene Erregbarkeit und seinen Geisteszustand, entweder bewusst oder unbewusst. Es ist bekannt, dass Atmung das Potenzial hat, psychologische Effekte wie Stimmung, Emotionen, mentale Resilienz, Entspannung, Schmerz, Bewusstsein und Fokus zu regulieren.

Nicht umsonst bezeichnet man den Atem als das zentrale Tor zu unserem Bewusstsein. Durch bewusste Atemarbeit können wir unser inneres Erleben beeinflussen. Wir nutzen die Atmung als direkten Zugang zu unserem Bewusstsein und den Fokus auf die Atmung als Mittel zur Fokussierung des Geistes. Mittels konzentrierten und bewussten Atems können wir den Geist steuern. Wir können ihn beruhigen, fokussieren und in einen Zustand von Konzentration und Wachheit überführen. Wird der Atem ausgeglichener, so werden wir es auch. Wird der Atem fokussierter, so auch wir.

Übungen für Athleten

Studien zeigen, dass bereits wenige Minuten langsames Atmen ausreichen, um positive Effekte zu erzielen. Für Athleten stellt sich die Frage, wie effektiv diese Techniken vor, während und nach Trainingseinheiten oder Wettkämpfen sind. Forschungsergebnisse belegen die Wirksamkeit bewusster, langsamer Atmung: Eine verbesserte HRV kann während der Atemübung, unmittelbar danach sowie langfristig nach mehreren Sitzungen festgestellt werden. Ausgeprägtere Effekte werden bei längerfristigen Interventionen beobachtet, was auf eine starke Dosis-Wirkungs-Beziehung hinweist.

Für Athleten ist es daher vorteilhaft, bewusstes, langsames Atmen in den Trainingsalltag zu integrieren. Hier ein Ansatz, um die Wirksamkeit zu erleben:

  • Langsames Atmen üben: Die Verringerung der Atemfrequenz mag anfangs ungewohnt sein. Mache dich mit dem langsamen Atmen vertraut, indem du die Dauer eines vollständigen Atemzuges schrittweise von 6 auf 10 Sekunden erhöhst. Sollte dies noch nicht möglich sein, belasse es bei deiner erreichten Frequenz. Wichtig ist, langsamer als gewohnt zu atmen. Die Länge der Einatmung sollte der der Ausatmung entsprechen; tendenziell ist es in Ordnung, etwas länger aus- als einzuatmen.
  • Bewusstes, langsames Atmen im Alltag: Atme über den Tag verteilt bewusst langsam mit etwa 6 Atemzügen pro Minute (oder deiner individuellen Frequenz) für insgesamt 20 Atemzüge (etwa 3 Minuten). Ob im Sitzen, Liegen oder bei leichter Aktivität, konzentriere dich auf deinen Atem. Eine ruhige Umgebung hilft anfangs, später kannst du es auch in Alltagssituationen integrieren.
  • Atmung mit dem Training verbinden: Nimm dir einige Minuten (ca. 20 Atemzüge) vor und nach dem Training Zeit für bewusstes, langsames Atmen. Nutze es, um dich auf dein Training einzustimmen und es ausklingen zu lassen.
  • Langsames Atmen während des Trainings: Experimentiere mit langsamer Atmung während deines Trainings. Nutze kurze Pausen oder Phasen niedriger Intensität. Auch wenn du aufgrund der Belastung nicht die 6 Atemzüge pro Minute erreichst, versuche bewusst so langsam wie möglich zu atmen, ohne unangenehmen Lufthunger zu verspüren.

Wenn du eine Pulsuhr trägst, kannst du den Effekt auf deine Herzfrequenz direkt beobachten. Damit kombiniert man die langsame Atmung mit Biofeedback und stellt sicher, dass das richtige Atemmuster beibehalten wird.

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